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“Not universal, but all over the place”: Zur Globalität der Geschichte des Völkerrechts

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Eine Weltgeschichte des Völkerrechts: Da steckt gleich eine Handvoll höchst spannungsvoller Differenzen drin – global/eurozentrisch, universal/partikulär, Recht/Geschichte, normativ/faktisch, rationalistisch/empirisch, you name it. An Spannung hat es denn auch nicht gefehlt beim jüngsten Rechtskulturen-Workshop anlässlich der Veröffentlichung des von Anne Peters und Bardo Faßbender herausgegebenen Oxford Handbook of the History of International Law. Einig waren sich alle, dass es ein höchst lobenswertes Unterfangen ist, die Völkerrechtsgeschichte aus ihrer eurozentrischen Perspektive befreien zu wollen. Aber das war es dann auch schon wieder mit der Einigkeit.

Was ist das Völkerrecht? Ist das die große universelle Über-Rechtsordnung, die das friedliche Miteinander der vielen partikularen Rechtsordnungen auf dem Globus wenn schon nicht regelt, so doch regeln sollte? Oder ist diese Vorstellung mitsamt der damit implizierten souveränen Gleichheit der Nationen selbst schon ein Produkt einer ganz bestimmten partikularen Rechtskultur, nämlich der westlich-europäischen? Wie schreibt man eine globale, mit der eurozentrischen Perspektive entschlossen brechende Geschichte des Völkerrechts, wenn dieses Völkerrecht womöglich von vornherein eine zutiefst eurozentrische Angelegenheit war?

Wie vertrackt dieses Projekt ist, wurde spätestens im ersten Panel mit dem Statement von Lydia Liu klar. Das Völkerrecht, sagte die New Yorker Kulturwissenschaftlerin, sei selbst ein Produkt der westlich-europäischen Kultur. Man solle nicht versuchen, in chinesischen oder indischen Quellen nach einem Spiegelbild dieser Ordnungsidee souveräner und gleicher Nationen zu suchen. Auch Jane Burbank, Historikerin und Russlandexpertin von der New York University, und Sebastian Conrad, Global-History-Pionier von der FU Berlin, gaben den Völkerrechtlern harte Nüsse zu knacken. Wer das Völkerrecht und das darin implizierte Staatensystem als inhärent rational betrachte und seine Ausbreitung als das Werk von Überzeugungsarbeit, so Conrad, der ignoriere, dass ohne Kapitalismus, Imperialismus und harte ökonomische und politische Interessen das Völkerrecht sich niemals über den ganzen Erdball ausgebreitet hätte. Dass das Völkerrecht „all over the place“ sei, mache es noch nicht universell.

Soweit die Historiker. Juristen, sagte Anne-Charlotte Martineau, verfolgen indessen ein anderes Projekt als Historiker, ein normatives Projekt (und seien sowieso überzeugt davon, dass Nicht-Juristen das Völkerrecht überhaupt nicht verstünden).

An dieser Differenz krachte es dann auch gehörig, ausgelöst durch eine ganz beiläufige Bemerkung von Rose Parfitt. Die Wissenschaftlerin von der American University of Cairo hat ein höchst spannendes Stück Völkerrechtsgeschichte erforscht, nämlich Italiens Annexion des äthiopischen Kaiserreichs 1935. Das gilt als Paradebeispiel eines Falls, bei dem ein mächtiges Land ein schwächeres brutalisiert und dabei das Völkerrecht mit Füßen tritt. Tatsächlich, so Rose Parfitt, sei die Lage viel komplizierter, das Völkerbundsmitglied Äthiopien keineswegs nur wehrloses Opfer und die anderen europäischen Mächte keineswegs nur entsetzte Zeugen eines Rechtsbruchs. Als nächstes, kündigte Parfitt fröhlich an, wolle sie das faschistische Völkerrecht erforschen.

Das kam bei manchen der anwesenden Völkerrechtlern, meist solchen der älteren Generation, überhaupt nicht gut an. Faschismus sei die Negation des Völkerrechts, erregte sich der Gießener Emeritus Heinhard Steiger. Es gebe überhaupt kein faschistisches Völkerrecht! Woher er das wisse, gab Parfitt zurück. Das faschistische Italien habe schließlich jede Menge internationaler Abkommen geschlossen – was das denn dann sei? Ebrahim Afsah sprang Steiger zur Seite und erinnerte auf die berühmte Kontroverse zwischen H.L.A Hart und Lon Fuller: Recht setze ein Minimum an Konsistenz voraus. Christian Tomuschat wiederum bestand darauf, dass Völkerrecht das Anerkenntnis wechselseitiger Gleichrangigkeit voraussetze, sonst sei es bloß imperiales nationales Recht und kein Völkerrecht.

Damit war an ganz unerwarteter Stelle die Frage aufgeworfen, die sich durch die ganze Veranstaltung zog: Was ist da, wo das Völkerrecht nicht ist? Ist da die Erde wüst und leer und eine Aufforderung, sie sich untertan zu machen? Oder stoßen wir in Wahrheit auf andere Dinge, unvertraut und unter anderem Namen, funktional äquivalent oder jedenfalls auf dem Weg dahin, eine Art Proto-Völkerrecht, oder sogar vielleicht partiell überlegen und etwas, wovon unser Völkerrecht lernen kann? Oder stehen wir im Gegenteil vor etwas kategorial Anderem, Nicht-Völkerrecht,  Völker-Unrecht womöglich? Oder sind wir mit unserem „wir“ schon von vornherein auf ganz falscher Fährte und brauchen überhaupt nicht weiterzufragen, bevor wir uns nicht über die Wurzeln und Limitationen dieser „wir“-Perspektive klar geworden sind?

„Wir“ Juristen bekamen bei der Tagung viel Gelegenheit, über die Limitationen unserer Perspektive auf das Recht nachzudenken: Wie affirmativ wir denken, wie leicht wir die geltende Ordnung als Resultat purer Vernunft akzeptieren, wie blind wir oft sind für die Machtstrukturen und ökonomische Interessen, die sie tatsächlich schaffen und gestalten. Aber auch die Historiker und Soziologen sind hoffentlich nicht ohne Food for Thought nach Hause gegangen: Wie steht es um ihr Gefühl für die Differenz zwischen Recht und Unrecht? Ist für sie alles irgendwie Recht, sind sie ihrerseits blind für die Normativität von Recht und für sein Potenzial, kulturelle Differenzen zu managen und im Gleichgewicht zu halten?

Anne Peters brachte es in ihrem Schlusswort auf den Punkt: So sehr sie die Kritik am Eurozentrismus teile – sie spüre einen gewissen Widerstand in sich, das „Killer-Argument“ zu akzeptieren, es gehe immer nur um Hegemonie. „Dann ist alles hegemonial, und damit nichts hegemonial.“

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